22
Dez
2010

Kulinarisches Heimatgefühl

Meine kulinarische Spürnase, die nicht nur gutes Essen und Trinken, sondern auch das Ambiente erfasst, führt mich immer wieder an gastfreundliche Genuss-Orte. Besonders dankbar bin ich dafür, wenn ich allein reise. Meist entdecke ich schon am ersten Tag in der fremden Stadt eine Zuflucht, zu der ich an folgenden Tagen immer zurück kehre. Ja, ich weiß - gerade auf Reisen gibt es so Vieles zu entdecken, so Vieles auszuprobieren... das tue ich ja dann auch, aber ist es nicht schön, ein zweites oder auch drittes Mal vorbeizuschauen und von der Wirtin wiedererkannt und begrüßt zu werden? Das gibt mir ein glückliches Gefühl von Heimat in der Fremde. Da war das Café Ringelnatz in Cuxhaven, wo mich Wirtin Lisa Köster nach meiner mehr als turbulenten Überfahrt nach Helgoland wieder aufpäppelte. Die Fahrt auf dem Katamaran bei Windstärke sieben bekam mir so schlecht, dass mir noch nach Monaten übel wurde, wenn ich auch nur das Bild eines Schiffes ansah. Hätte ich doch nur die hochseetaugliche Wappen von Hamburg genommen, wie von Frau Köster empfohlen! Nach so einem Tag hätte ich mir keinen besseren Ort vorstellen können, um mit meinem sturmgebeutelten Magen zur Ruhe zu kommen: Eine Art Wohnzimmer mit einem Büchertisch, natürlich Ringelnatz.- Überhaupt Bücher: Die gibt es auch in meiner Berliner Zuflucht, dem AnnaLee. Das AnnaLee ist nicht nur Bistro, Café, Restaurant, sondern zugleich auch Buch- und Weinhandlung. Hier ließ es sich gut sitzen, schlemmen und schreiben. Am zweiten Abend servierte man mir den Rioja mit den Worten: Wie er schmeckt, wissen Sie ja schon. Und nun also Winterthur. Mein erster Tag hier war vom Regen grau und schwer, ich bummelte dennoch durch die Stadt. Und entdeckte den Tearoom. Der letzte freie Tisch, ein Platz direkt am Fenster mit Ausblick auf Fachwerk und Alltagstreiben: Malerautos, Müllfahrzeuge und Menschen in der Mittagspause. Ich bestelle Thaisuppe und grünen Tee. Die Bedienung stellt eine Teeuhr vor mich hin, oder besser gesagt eine Dreierreihe mit Teeuhren zu drei, fünf und sieben Minuten. Der rote Dreiminutensand rieselt, während mein Grüntee zieht. Eine blonde, nicht mehr ganz junge Frau fragt mich, ob sie sich zu mir setzen dürfe - noch verstehe ich die Schweizer eher intuitiv als akustisch. Ich lächle: Ja bitte, gerne. Sie packt eine Zeitung aus, ich meinen Stadtplan - ja, ich bin zu Besuch, Ihr Salat sieht aber knackig aus! In dieses Teehaus werde ich sicher nochmal kommen, um zu beobachten und zu schreiben, Suppe zu löffeln und Tee zu verkosten. Spätestens, wenn mein mitgebrachter Schwarztee aus ist und ich ein Geschenk für die Tangotänzerin zu Hause suche.
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