Tee-Gourmet
Schreiben heißt in erster Linie auch Wahrnehmen. Bewusst hinschmecken, riechen, spüren, um die Dinge benennen und bloßen Worten plastische Realität einhauchen zu können. Nur so ist es zu erklären, warum meine Berichte aus der fremden Stadt sich meistens ums Essen und Trinken drehen. Soweit die offizielle Version. In Wahrheit bin ich einfach ein Genuss-Schwein: Knackige Gemüse, sündige Schokoladen, eine Vielfalt phantasieanregender Gewürze und Tees mit blumigen Namen! Womit in der Tat das literarische Element wieder ins Spiel kommt. Nun steht vor mir ein längliches Tablett mit vier Tee-Raritäten. Von links nach rechts gelesen: China Yin Shen, Sencha Kiwami, Taiwan Lishan Oolong und Ding Dong Roasted Oolong (so zu lesen in der Teekarte). Ein hübscher Druckfehler, der aus dem Dong Ding Berg in Taiwan Glockenläuten macht! Der Yin Shen hat eine helle Tasse und schmeckt entsprechend mild. Sein Silbernadelblatt ist länglich und hübsch anzuschauen. Dagegen der Sencha: Die Blätter wie Spinat, steht er giftgrün in der Tasse und schmeckt - spinatig. Dennoch ist die grasige Note gar nicht so penetrant wie bei anderen japanischen Grüntees. Der sanfte Heugeschmack des Oolongs ist mir seit jeher lieber, wie beim Lishan. Seine Farbe ist ein heller Oliventon. Der Roasted Dong Ding unterscheidet sich noch einmal deutlich von seinen Vorgängern. Ich rieche und schmecke, und schmecke und rieche. Dong Ding, Ding Dong. Woran erinnert er mich bloß? Algen-Gomasio? Grün und geröstet - könnte hinkommen. Nun wird noch die Kürbissuppe angeliefert. Dickflüssig, heiß und säuerlich, mit kleinen Apfelstückchen drin. Dazu knuspriges Körnerbrot. Der zweite Tee-Verkostungsdurchgang gerät - leider - fad, auch weil der Tee schon nicht mehr heiß ist. Hätte man ihn doch erst bei Tisch ziehen lassen! Ich hätte mir beim Ausgießen in vorgewärmte Schälchen schon nicht die Finger verbrannt.
radicchia - Do, 6. Jan, 08:22
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