Wind & Wetter

11
Jun
2013

Der Dialekt versagt zuletzt

Unglaublich, die Bilder aus meiner alten Heimat Niederbayern dieser Tage: Die Autobahn A3, auf der ich so oft langfuhr - seit Tagen über eine weite Strecke gesperrt. Das Niederalteicher Donauufer; Schauplatz meiner Jugend mit romantischen Sonnenuntergängen und langen Nächten am Lagerfeuer - die Donau ist dort keine Freundin im Moment, sondern eine Bedrohung. Und Fischerdorf. Da ist dieses rote Haus am Ortseingang, das so oft in den Nachrichten zu sehen war und dessen Bewohner ich kenne. Und vor dem gestern Abend in den Nachrichten der BR-Reporter stand und in wohl gesetzen hochdeutschen, gemütlich Bayerisch eingefärbten Worten berichtete. Man warte auf eine zweite Hochwasserwelle. Aber die werde - so der Reporter im O-Ton - nicht mehr so gaach ausfallen wie die erste...

Bayerische (und österreichische?) Native Speakers werden verstehen, was gemeint ist. Dialektunkundige jedoch kaum. Doch wen wundert es, wenn einem im Angesicht dieser ungeheuerlichen Überschwemmung die Worte ausgehen? Je emotionaler, je heftiger (also gaacher) das Ereignis, desto weniger ist die Hochsprache geeignet, unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen - nur der Dialekt hält dann noch passende Wörter bereit, versagt zuletzt im Angesicht der Katastrophe.

Sollte das Wort jedoch jemals Eingang finden in eine offizielle Radiowarnung, würde ich zur Sicherheit hinzufügen: Bitte verständigen Sie auch Ihre Nachbarn, die diese Nachricht vielleicht nicht gehört haben oder kein Bayerisch verstehen.
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16
Mrz
2013

Showdown im März

Breitbeinig stand Anastasius Grün vor dem weit geöffneten Tor, die schwere Waffe auf das gähnende Dunkel gerichtet. Lange würde er das nicht aushalten: Schon schmerzten die um den Griff gekrallten Finger, und die Arme zitterten leicht.

"Rauskommen! Das Spiel ist aus!", rief er.

Da fuhr ein kalter Windhauch aus dem Inneren der Scheune, und Eiskristalle rieselten auf Anastasius nieder. Sollte das schon alles gewesen sein? Der Wind rüttelte an den Scheuentoren, quietschend schwangen sie hin und her. Anastasius ließ die Waffe sinken und blickte dem Winter hinterher, wie er sich über die Felder davon machte.

Der Frühling stand vor der Tür.

Der Winter hat das Spiel verloren / wir treiben ihn aus zu Türen und Toren.
Anastasius Grün (1806 - 1876), slowenisch-österreichischer Politiker und Lyriker
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24
Jan
2013

Kettensalz

Füße treten emsig
in rutschige Pedale
Eng gespeichte Räder wühlen
auf matschnassem Asphalt
Mal geht es zäh
mal viel zu leicht
Bist du bereit
abzuspringen
bevor unter dir
das Rad zu liegen kommt?
Reines Weiß
Zu grauem Braun
getaut
festgesetzt
auf Rahmen und Kette
Schmilzt im Keller
zu dreckigen Pfützen
Nur das Salz
bleibt schädlich


Radeln empfiehlt sich nicht bei rutschig-matschig-eisiger Witterung, doch manchmal dauert es einfach zu lang, zu Fuß zu gehen. Dann hole ich doch mal das Rad hervor, nicht ohne Grausen: Erst gilt es, auf glatter Straße nicht unter die Räder vorbeifahrender Autos zu kommen oder unsanft auf Fahrbahn oder Gehsteig(kanten) aufzuschlagen, dann wickelt sich der Pappschnee um Kette, Rahmen und Schaltung - nur um später im Keller dann eine unschöne Dreckpfütze aus geschmolzenem Schnee, Straßendreck, Schmieröl und Splitt unter sich zu versammeln. Und nicht genug: Dreck und Salz dringen in feinste Fugen, vor allem aber in die Glieder der Fahrradkette ein, die dann bis zum Sommer munter vor sich hinrostet. Kettensalz, ging es mir also durch den Kopf. Was sollte ich mit diesem schönen Wort anfangen? Könnte der Name einer Deutschrockband sein, oder auch ein Lied von Herbert Grönemeyer, mit einer dieser Liedzeilen, die man auf kuriose Weise missversteht: Oooooh, Kettensahahalz!, oder so ähnlich. Der weiße Neger Wumbaba lässt grüßen. Vielleicht aber ist es auch der Name eines Kleinstverlages mit ambitioniertem Programm: edition kettensalz. Ich überlege, ob ich den Verlag gründen soll. Einstweilen muss das obige Gedicht genügen. Es ist, was es ist: Kettensalz.
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28
Okt
2012

Der erste Schnee

Gelb und grün
Der Ahorn vor dem Fenster
Rot und Gold
Das Blättermeer
Rot und Grün
Die Früchte des Tomatenstrauchs
Auf dem Balkon
Hellgrün mit weißen Hauben
Die frischen Kräuter bald
Gefriergetrocknet
Weiß und dicht
Die Schicht
Von Schnee
Im Fahrradkorb
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13
Jul
2012

Hagelschlag und Halbpension

Urlaub! Endlich Urlaub! Unserer begann letzten Sonntag mit einem Schlag - einem Hagelschlag. Wir konnten es den Höhenrücken entlang kommen sehen, das Gewitter. Was aber dann auf Haus- und Autodächer niederging, war nicht nur heftiger Regen. Nein, binnen Minuten sammelten sich in der Regenrinne und auf dem kiesgedeckten Zwischendach neben unserem Tiroler Hotelbalkon dicke, eisige Hagelkörner und färbten alles weiß wie im Winter, während schlammige Wasser die abschüssige Straße kurzfristig in einen Gebirgsbach verwandelten. Wie es wohl dem Moutainbike-Fahrer erging, der kurz zuvor noch die Straße hinaufgeradelt war? Immerhin trug er einen Helm - was Beulen in Autokarossen macht, kann für die Schädeldecke nicht gut sein. Trotzdem fand er hoffentlich ein Dach zum Unterstellen. Am nächsten Morgen dann Bestandsaufnahme: Lauter kleine Dellen auf Dornröschens Blechkarosse; der Schaden vermutlich nur ästhetischer Natur. Trotzdem habe ich die Versicherung angerufen. Im Nachbarort sah es schlimmer aus: Hier gingen sogar Scheiben zu Bruch, überall turnten schon Hausbesitzer auf ihren Dächern und ein riesiges Gewächshaus, das vermutlich zu einer Gärtnerei gehört, stand mit zertrümmerten Dächern da. Doch Glück im Unglück: Kein Mensch kam zu Schaden, und während draußen der Sturm verebbte, hatten wir uns wieder unserer Halbpension zugewandt.
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