26
Aug
2010

Seelensteine

Manche Menschen haben Gallen- oder Nierensteine. Einschlägige Internetforen und Apothekenzeitschriften machen dafür eine ungünstige Ernährungsweise verantwortlich, mangelnde Bewegung, Krankheiten oder einfach die Erbanlagen. Viele merken nichts davon, andere bekommen Koliken.
Und wie verhält sich's mit der Seele? Sammelt sie die traurigen Erlebnisse und die Verletzungen vergangener Tage, bis uns Seelensteine wachsen? Geröll, das Träume und Sehnsüchte verschüttet? So mancher Seelenkrampf kann es an Heftigkeit mit einer Kolik aufnehmen. Dann können wir uns hingeben und warten, bis es vorüber ist. Oder wir stemmen uns dem Schmerz mit der Hartnäckigkeit eines Presslufthammers entgegen. Das kostet Kraft, raubt Energie.
Doch manchmal erwischt uns stattdessen ein Bild, ein Ton, eine Begegnung, die den Seelenmörtel bröseln lässt. Oder ein Konzert! Wie gestern Abend auf Schloss Reichenschwand, ein Ticket in der Tasche mit dem rätselhaften Aufdruck Frau im Spiegel, fifty & romance tv. Nun lese ich weder das gleichnamige Blatt, noch bin ich über fünfzig. Etwas Romantik darf es dagegen schon sein!
Deshalb bin ich hier unter einem Himmel voller Wolkenstreifen, die Schultern fleecebedeckt gegen den empfindlich kühlen Wind, und warte auf Chris de Burgh. Ich bin immer noch jung genug, um den Altersdurchschnitt des Publikums signifikant zu senken; schließlich lag ich noch in den Windeln, als seine erste Platte erschien. Zwanzig Jahre später fingen seine Songs an, schmalziger zu werden, doch damals passte das in mein Weltbild. Und auch heute liebe ich diese unglaublich gut gemachte Mischung aus Message, Menschlichkeit und Rockmusik. Keine Angst vor großen Gefühlen haben, die Sehnsucht auswalzen, mit zärtlicher Ironie wieder wegpacken und zwischendurch die E-Gitarren sprechen lassen - so möchte ich auch schreiben können. Möchte die Menschen berühren wie er, wenn er die Bühne verlässt und zwischen baumlangen Bodyguards in der Menge verschwindet. Ladies in red stehen Schlange, um mit ihm zu tanzen, cheek to cheek. Einen Moment lang gibt er jeder von ihr das Gefühl, There's nobody here, it's just you and me. Wenn das nicht zum Steinerweichen ist! Ich selbst stehe ganz hinten, in einem gelben Regenponcho.
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