12
Jul
2010

Platte Katze

Sie trägt blaue Schuhe. Aus Leinen, mit weißen Schuhbändern. Aus den Schuhen schauen orangefarbene Socken heraus, in die geblümte Leggins gestopft sind. Grün auf weißem Grund. Darüber eine dunkle Jacke, viel zu warm für einen Tag, an dem der Wetterbericht von 29 Grad spricht. Das Beste aber, das Beste ist ihr schwarzes Hütchen: es liegt auf einer Seite an und steht auf der anderen keck vom Kopf ab. Dünnes Haar schaut unter der Kopfbedeckung hervor. Bestimmt gibt es einen Namen für so eine Art von Hut, aber der will mir im Moment nicht einfallen, und eine ungenaue Beschreibung könnte ein falsches Bild von der Trägerin des Hütchens erzeugen. Etwa fünf Meter entfernt steht sie vor mir an der Ampel. Ich weiß gleich, dass nicht nur ihre Kleidung anders ist. Was hat sie da überhaupt im Arm? Von schräg hinten sieht es aus, als wiegte sie einen Säugling. Es hat jedoch ein graues Fell, sieht aus wie eine Katze. Eine ziemlich platte Katze. Ein Spielzeugtier. Die Frau murmelt dem Tier zärtliche Worte ins Ohr. Fasziniert beobachte ich sie und frage mich, in was für einer Welt sie wohl leben mag. Jetzt hebt sie das Fellbündel an ihre dünnen Lippen und küsst es sanft auf die weiche Nase. Langsam wendet sie sich zu mir um und sieht mich an, um ihr Lächeln mit mir zu teilen. Mit mir und der platten Katze.

Die Ampel springt um. Eine der wichtigeren Konventionen unserer Welt scheint sie zu beherrschen: dass es besser ist erst wieder los zu gehen, wenn es grün ist. Sie geht langsam über die große Kreuzung. Ich überhole sie auf dem Fahrradstreifen. Als wir auf gleicher Höhe sind, blickt sie mich noch einmal an, die Katze innig umarmt. Ich teile mein Lächeln mit beiden.
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