1
Sep
2010

Straßengeschichten

Dass die Geschichten auf der Straße liegen, ist ein offenes Geheimnis unter uns Textschaffenden. Meistens meinen wir das eher metaphorisch, doch heute Abend lag mir auf dem Bürgersteig buchstäblich eine Geschichte im Weg. Ich weiß nur nicht genau, welche. Auf dem Herrenplatz - dort wo die Lederergasse einmündet - befand sich ein Meterstab, in den Scharnieren schon ein bisschen ausgeleiert und schräg, als wäre ein Autoreifen über ihn hinweg gerollt. Er lag in Längsrichtung, genau in der Mitte des gepflasterten Weges. Am Rand stand eine Flasche Eistee mit eineinhalb Litern Inhalt, die ungefähr zur Hälfte ausgetrunken war. Die Ovalisierung der Flasche deutete darauf hin, dass irgendwann im Laufe dieses Tages die Sonne darauf geschienen hatte (und das in diesem eiskalten Spätsommer), und die Flasche sich beim Abkühlen zusammen gezogen hatte. Waren das Überreste einer Handwerkerbrotzeit? An keinem der Häuser ringsum wurde sichtbar gearbeitet. Und vor allem, warum waren diese beiden Dinge zurück geblieben? Gehörten sie dem Lehrling, der heute angefangen und gleich wieder aufgegeben hatte? Oder hatte ein unzufriedener Auftraggeber seine Handwerker mit der Flinte vom Platz gejagt? Vielleicht war aber auch eine schöne, junge Frau aus der Lederergasse gekommen, der Dachdecker hatte ihr hinterher gepfiffen und da er ebenfalls jung, schön und überdies noch braun gebrannt und muskulös war, hatte ihn die Passantin von seinem Dach herunter gelockt, um ihr mal eben den Bürgersteig zu vermessen, damit sie leichter ausparken konnte. Zum Dank hatte sie dann ihren Eistee mit ihm geteilt.
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