3
Sep
2010

Das neue Leben alter Dinge

Manchmal möchte ich Ballast abwerfen. Dann öffne ich den Kleiderschrank, das Bücherregal, die CD-Schublade und überlege, was ich entbehren und wem ich es geben möchte. Ebay? Vielleicht. Der tolle Plattenladen mit An- und Verkauf? Werde ich mal ausprobieren. Beim Aussortieren entdecke ich die reinsten Kleinode aus einer Zeit, in der Satellite noch ein Song von den Hooters war und mein Musikgeschmack von äquatorialer Breite. Meistens zwanzig Jahre hinterher oder noch nie mainstream gewesen. Wie sie da einträchtig beieinander stehen: Reinhard Mey, Black Sabbath und die Drei Tenöre, die Beatles und klagend-beschwörende Klänge aus Lappland. Ich werde sie der Reihe nach wieder auflegen und in Erinnerungen schwelgen, oder von der Zukunft träumen.

Meine Bücher erstaunen mich aus einem anderen Grund. Natürlich liebe ich Bücher. Die vielen Geschichten, die sie beherbergen, und das geballte Wissen, das sie ausstrahlen. Regalbretter, die sich unter dem Gewicht dicker Folianten biegen, die Atmosphäre in Bibliotheken, den Geruch von altem Papier und sogar den Staub, der sich auf den Buchblöcken ansammelt. Bücher kann man nie genug haben. Wirklich? Jedes Buch hatte seine Zeit, zu der es mich beeinflusst oder zumindest beeindruckt hat. Es liegt eine Freiheit darin, diese Bücher zu besitzen: Die Möglichkeit, jederzeit etwas nachzuschlagen, oder Bücher zu empfehlen und an liebe Menschen auszuleihen. Doch es gibt nur wenige, die ich immer wieder lesen kann. Die ich aus dem Schrank ziehen möchte, wenn ich den Trost des Vertrauten brauche oder wenn mir einfach nur der Lesestoff ausgegangen ist. Und dann gibt es auch noch die Bücher, deren Zeit noch nicht gekommen ist. Bücher, die mir geschenkt wurden oder die ich in der Vorahnung gekauft habe, dass sie mir eines Tages etwas sagen werden. Die Zeit mancher Bücher kommt nie.
Und so sortiere ich von Zeit zu Zeit aus und gebe die Bücher dem Donaustrudl, der sie für soziale Zwecke weiter verkauft. Es ist schon vorgekommen, dass ich dort für wenig Geld ein Buch erstand und später wieder spendete.

So wie im Bücherregal gibt es auch im Kleiderschrank Stücke, denen ich entwachsen bin oder die nie so recht zu mir gepasst haben. Manche Stücke trage ich so selten, dass ich vergesse, warum. Bis ich eines Tages mal wieder hineinschlüpfe und es bitterlich bereue. Weil die schöne, olivgrüne Hose nur noch im Stehen bequem ist, oder weil ich in der schwarzen Jacke immer so aussehe, als wäre ich zu meiner eigenen Beerdigung unterwegs. Gerne würde ich sie einer Frau geben, der Schwarz besser steht als mir. Da fällt mir die Kleiderkammer des Strohhalm ein, der sich um Obdachlose und Hilfsbedürftige kümmert. Vielleicht kommen meine Kleider dort nochmal ganz groß raus. Ich stelle mir vor, dass der dicke Fleecepullover einen Menschen wärmt, der auf der Straße übernachten muss. Oder dass die schwarze, schlichte Hose ihre neue Besitzerin zu einem Vorstellungsgespräch begleitet, das eine neue Chance bedeutet.

Der Wert der Dinge, die ich besitze, ist nicht in Geld zu messen. Er entsteht aus dem Blick, mit dem ich sie betrachte oder dem Gehör, das ich ihnen schenke. Und wenn ich sie nicht mehr brauche, wünsche ich mir eine neue Geschichte für sie. Denn Wegwerfen behagt mir nicht. Kreisläufe sind mir lieber.
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